Diese Frage hat mich immer wieder verfolgt – in vielen Momenten innerhalb eines Landes, das sich durch seine ideologische, kulturelle, ethnische, stammesbezogene und politische Vielfalt auszeichnet – einem Land voller unzähliger Optionen, von denen jedoch keine frei ausgeübt werden kann. Denn von dem Moment an, in dem du geboren wirst, wird deine Identität im Sudan durch die Religion festgelegt, während deine Stammeszugehörigkeit entscheidend für deine kulturelle Prägung und sogar dein Schicksal ist.
Um im Sudan Anarchist zu werden, musst du es geschafft haben, all diese aufgezwungenen Identitäten und erstickenden Fesseln zu überwinden, die uns in den Mahlstrom des Staates treiben. Der Sudan ist ein Land, in dem Krieg, Krisen und Krankheiten niemals enden. Ein Volk, das von militärischen, religiösen und stammesbezogenen Ideologien durchdrungen ist – idealer Nährboden für die Entfachung von Konflikten.
In einem solchen Land habe ich mein eigenes Leben oft mit Erstaunen betrachtet.
Unsere Kämpfe gleichen häufig Actionfilmen – für Außenstehende mag das fremd oder unglaublich wirken –, doch das Überleben bedeutet ständiges Entkommen vor verfeindeten Fraktionen und das Ausweichen vor direktem Kugelhagel: Kugeln des Staates, der Religion, des Stammes, der Sekte und der bewaffneten Fraktionen.
Anarchist zu sein ist ein Ausdruck des tiefen Bewusstseins über das Versagen dieser Systeme.
Es ist ein Bewusstsein, das dich an die äußersten Grenzen des politischen Kampfes und der tiefen menschlichen Erfahrung treibt. Und dieser Weg führt nur zu zwei Ergebnissen: Entweder bleibst du ein wahrhaft revolutionärer Widerstandskämpfer – oder du wirst vom Strudel der Macht verschlungen.
Wie die Macht im Sudan viele Gesichter hat, so hat auch die Opposition zahlreiche Formen:
Es gibt politische Widerstandsbewegungen, Parteien, Söldnergruppen, sogenannte revolutionäre und liberale Milizen, die jedoch auf Stammesstrukturen beruhen, und kulturelle Fraktionen, die in autoritären Ideologien und Propaganda verhaftet sind. Diese ineinander verflochtenen Hierarchien sind die Wurzel der sudanesischen Krise.
In Wahrheit ist der Sudan nichts anderes als eine Ansammlung kleiner Völker, eingesperrt in einem Staat, der eine brutale Herrschaft ausübt und keinerlei Menschenrechte außerhalb seiner eigenen Interessen anerkennt. Darüber hinaus hat die Ideologie der radikalen Islamisten eine weitere Rolle dabei gespielt, Unwissenheit und Rückständigkeit im Sudan zu vertiefen.
Der Versuch, all dies als einzelner Anarchist zu bekämpfen, gleicht dem Kampf eines Wolfs unter einer Hyänenmeute: Entdecken sie auch nur eine einzige Schwäche in dir, wird das unweigerlich dein Untergang sein.
Der Weg nach vorn beginnt damit, jene zu finden, die deine Gedanken teilen, sie gemeinsam weiterzuentwickeln und ihnen Wissen und Bildung zu vermitteln. Als Anarchist spürst du, dass deine Mission – wo immer du bist und mit welchen Mitteln du auch ausgestattet bist – die Verbreitung von Freiheit ist. Der Preis dafür mag hoch sein – er könnte dich dein Leben kosten.
Doch all dies ist nur ein kleiner Beitrag auf der Waage der Befreiung, die die Menschen brauchen, um ein würdevolles menschliches Leben zu führen.
Freiheit ist der höchste Zustand des Daseins – und der Anarchismus zeigt uns, wie wir sie erreichen und praktizieren können. Freiheit ist kein bloßes poetisches Wort für Sehnsüchte – sie ist Anstrengung, ein Bekenntnis, mit sich selbst und anderen frei zu sein, und ein Kampf, um Freiheit Wirklichkeit werden zu lassen. Anarchist zu sein ist ein Geschenk, das sich weder monopolisieren noch verbergen lässt. Frei zu sein heißt, Anarchist zu sein – und Anarchist zu sein heißt, frei zu sein.
Fawaz Murtada
Was ist Anarchismus?
Höre nicht auf die Lügen des Regimes und der Medien, frage stattdessen die Anarchisten selbst!
http://blackcat.cnt-ait.info
Quelle:
https://cnt-ait.info/2025/02/09/why-anarchist-sudan/
Erschienen in:
Espoir – Al Amal, Nr. 1 / Januar-Februar 2025
(https://cnt-ait.info/wp-content/uploads/2025/02/Espoir-AL-Amal-2025-en.pdf)
Übersetzung: Marah Zabalawi
Lektorat: Patrick Pav
Mehr Infos zum Thema Sudan:
https://anarchosyndikalismus.noblogs.org/?s=sudan